Nach Messerangriff bei John Reed: Warum Yasin Güler dem Täter vergeben hat
Veröffentlicht: Mittwoch, 16.04.2025 10:51
Am 18. April 2023 überlebt Yasin Güler einen islamistisch motivierten Messerangriff nur knapp. Heute, zwei Jahre später, erzählt er in seinem Buch „Vergeben statt vergelten“, warum er dem Täter verziehen hat.

Am 18. April 2023 wird Yasin Güler bei einem islamistisch motivierten Messerangriff im John Reed Fitnessstudio in Duisburg lebensgefährlich verletzt – eine Tat, die sein Leben für immer verändert. Heute, knapp zwei Jahre später, hat der 23-Jährige ein Buch über seine bewegende Geschichte veröffentlicht. „Vergeben statt vergelten“ lautet der Titel. Für ihn war das Schreiben eine Form der Verarbeitung – fast wie eine Therapie.
Ein Tag, der alles veränderte
Eigentlich will Güler am 18. April 2023 einfach nur trainieren. Nach der Uni fährt er von Bochum nach Duisburg, um im John Reed zu trainieren. Vor dem Training trifft er noch zufällig seinen Lieblings-Comedian Abdelkarim – ein kleiner Glücksmoment. Dann zieht sich Yasin in der Umkleide um und nur wenige Minuten später hört er Schreie aus der Dusche. Er rennt los, will helfen – und wird selbst zum Opfer: Maan D. sticht ihm ein langes Messer sieben Zentimeter tief in den Bauch. Güler schaut an sich herunter und sieht eine klaffende Wunde auf seiner rechten Seite. Kurze Zeit später liegt er im Krankenwagen und kämpft um sein Leben.
Ein Kampf ums Überleben
Die Messerattacke reißt Güler eine Woche ins Koma. Insgesamt 14 Operationen folgen. Er verliert eine Niere, einen Teil seiner Leber, die Gallenblase und Teile seines Dickdarms. Fünf Monate verbringt er im Krankenhaus – eine extrem belastende Zeit, körperlich wie seelisch. Seine Mutter weicht in dieser Zeit nicht von seiner Seite:
„Meine Mutter hat fünf Monate lang in einem Klappstuhl neben meinem Bett geschlafen, obwohl sie es eigentlich nicht durfte. Sie hat mich nie aufgegeben, mich bespaßt und meine schlimmen Phasen ausgehalten. Ich bin ihr unendlich dankbar“, erinnert sich Güler.
Begegnung vor Gericht sorgt für Vergebung
Nach den Monaten im Krankenhaus ist es für Güler noch nicht vorbei. Ende 2023 beginnt der Prozess gegen Maan D. Vor Gericht entscheidet sich Yasin bewusst dazu, ihm die ganze Zeit in die Augen zu schauen. Was er sieht, ist keine Reue – nur Leere und Hass. Der Islamist Maan D. gibt vor Gericht offen zu, dass er „Ungläubige töten“ wollte. Im John Reed ist ihm das nicht gelungen, dafür aber zwei Wochen zuvor. In der Duisburger Innenstadt tötete er willkürlich einen Mann mit 28 Messerstichen. „Ich konnte nicht fassen, wie man so unempathisch über das Ermorden von Menschen reden kann“, schildert Güler. „Er hat ausdrücklich gesagt, dass er es schade findet, dass heute noch Opfer im Gerichtssaal sitzen. Er hätte sie lieber tot gesehen.“ Für einen Moment spürt Güler blanken Hass. Doch dann trifft er eine Entscheidung – nicht für den Täter, sondern für sich selbst: Vergebung. „Ich glaube, dass Hass nur noch mehr Hass erzeugt“, sagt er heute. „Ich wollte zeigen, dass es auch anders geht.“
Leben mit Einschränkungen – aber voller Dankbarkeit
Güler lebt heute mit dauerhaften körperlichen Einschränkungen. Viele Medikamente gehören zu seinem Alltag – mit all ihren Nebenwirkungen. Ein kleiner Sieg: Der künstliche Darmausgang, den er lange tragen musste, konnte zurückverlegt werden. Das habe ihm „viel Lebensqualität zurückgegeben“.
Den Jahrestag des Anschlags begeht er inzwischen nicht mit Angst, sondern mit Dankbarkeit – fast wie einen zweiten Geburtstag. „Ich feiere den Tag sogar fast intensiver als meinen eigentlichen Geburtstag“, sagt er. „Einfach weil ich an diesem Tag eine zweite Chance bekommen habe. Ich habe nochmal die Möglichkeit bekommen, mit meinen Liebsten das Leben zu leben.“
Eine Stimme für andere
Trotz allem macht Yasin Güler weiter. Er studiert in Bochum Germanistik und Geschichte auf Lehramt. Er will Lehrer werden – und vor allem: Hoffnung geben. Mit seinem Buch möchte er Menschen Mut machen, die Ähnliches erlebt haben, aber sich nicht trauen, darüber zu sprechen. Für ihn war der Anschlag – so paradox es klingt – auch ein Wendepunkt. Eine Chance, aus dem Schmerz etwas Neues zu schaffen. „Vergeben statt vergelten“ ist nicht nur der Titel seines Buches – es ist sein Lebensmotto geworden.
Der Anschlag und die Folgen
Güler war eines von vier Opfern des Messerangriffs im John Reed. Der Täter, Maan D., konnte zunächst fliehen. Die Polizei sperrte Teile der Duisburger Innenstadt ab, setzte Hubschrauber und Spezialeinheiten ein. Wenige Tage später wurde der 27-Jährige festgenommen. Im Dezember 2023 verurteilte ihn das Oberlandesgericht Düsseldorf zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung.
Autorin: Antonia Röper