Zustand der Bundeswehr: Wehrbeauftragte fordert Ende der Behäbigkeit bei der Zeitenwende

"Kein Euro und kein Cent ausgegeben": Die Wehrbeauftragte kritisiert, dass der 100-Milliarden-Euro-Topf nicht schon im vergangenen Jahr für Einkäufe genutzt wurde. Das Verteidigungsministerium und die Beschaffungsbürokratie sollen nun in die Gänge kommen.

(dpa) - Die Wehrbeauftragte des Bundestages, Eva Högl, hat das langsame Tempo hin zu einer vollständigen Einsatzbereitschaft der Bundeswehr kritisiert. "Zwar sind die ersten Projekte auf dem Weg. Doch ist bei unseren Soldatinnen und Soldaten 2022 noch kein Cent aus dem Sondervermögen angekommen. Zu behäbig ist das Beschaffungswesen", schreibt die SPD-Politikerin in ihrem am Dienstag in Berlin vorgestellten Jahresbericht. Sie stellt fest: "Die Lastenbücher der Truppe sind voller geworden, die Bekleidungskammern, Munitionsdepots und Ersatzteillager hingegen nicht."

Dabei habe es selten einen so großen gesellschaftlichen Konsens gegeben, wie nach der von Kanzler Olaf Scholz (SPD) als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine ausgerufenen Zeitenwende, so Högl. Sie plädiert mit Hinweis auf Expertenstimmen auf einen Finanzierungsrahmen, der deutlich über die 100 Milliarden aus dem Sondertopf hinausgeht. "Die 100 Milliarden Euro allein werden nicht ausreichen, sämtliche Fehlbestände auszugleichen, dafür bedürfte es nach Einschätzung militärischer Expertinnen und Experten einer Summe von insgesamt 300 Milliarden Euro."

In ihrem Jahresbericht kritisierte sie, dass das Beschaffungswesen "zu behäbig" sei. Sie nennt zahlreiche Beispiele: Seit 2016 werde an einem Biologie-Labor für eine ABC-Abwehr-Schule geplant. Obwohl es um handelsübliche und marktverfügbare Geräte gehe, seien bisher nur 32 von 200 Einzelgeräten beschafft. An anderer Stelle reiche die Beschaffung eines Fliegerhelms mit ballistischem Schutz schon bis 2013 zurück - obwohl marktverfügbar und im US-Militär im Einsatz. Im dritten Quartal dieses Jahres solle die Ausrüstung nun bereitgestellt werden.

Högl blickt mit Sorge auf Personalkräfte

Die Wehrbeauftragte blickt mit Sorge auf die Personalstärke in der Bundeswehr und zweifelt daran, dass bis zum Jahr 2031 die Zielstärke von 203.000 Soldatinnen und Soldaten erreicht werden kann. Die Personalstärke habe im vergangenen Jahr 183.695 betragen, ein leichtes Minus zu 2021 (183.051 Soldaten). Beim Bewerberaufkommen sei ein Minus von elf Prozent zu verzeichnen. Zudem werden das Potenzial und der Nachholbedarf bei der Einstellung von Frauen nicht ausgeschöpft. Högl: "Selbst inklusive des Sanitätsdienstes liegt der Anteil der Soldatinnen erst bei 13,21 Prozent."

Die Wehrbeauftragte hilft nach Artikel 45b des Grundgesetzes dem Bundestag bei der parlamentarischen Kontrolle der Streitkräfte. Sie gilt aber auch als Anwältin der Soldaten, die sich jederzeit an sie wenden können.

Dauerthema Infrastruktur

Ein Dauerthema: die Infrastruktur. Kasernen sind landauf, landab "n einem erbärmlichen Zustand". Högl sagte: "Es fehlt an Unterkünften, funktionierenden Toiletten, sauberen Duschen, Spinde, Hallen, Sportanlagen, Truppenküchen, Betreuungseinrichtungen, Munitionslagern und Waffenkammer und nicht zuletzt auch WLAN." Der Investitionsbedarf werde auf mittlerweile 50 Milliarden Euro beziffert. Die Bauverwaltungen schafften es pro Jahr, Projekte im Volumen von einer Milliarde Euro umzusetzen. Die Wehrbeauftragte: "Das heißt, wir brauchen ein halbes Jahrhundert, um den Investitionsbedarf auch entsprechend umzusetzen."

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