
Bundeskanzler Friedrich Merz hat die deutsche Stahlindustrie zu einem Krisentreffen ins Kanzleramt geladen. Mehr als zwei Stunden diskutierten Politik, Unternehmen und Gewerkschaften über die Zukunft einer Schlüsselbranche. Der Kanzler sprach von einer "existenzbedrohenden Krise" der Branche. Konkret forderte er drei zentrale Maßnahmen: wirksamen Schutz vor Billigimporten aus China, deutlich niedrigere Energiepreise und eine Bevorzugung europäischen Stahls bei öffentlichen Aufträgen.
80.000 Jobs direkt betroffen
Die Stahlindustrie beschäftigt in Deutschland etwa 80.000 Menschen direkt. Zu den großen Produzenten zählen Thyssenkrupp Steel, Salzgitter, ArcelorMittal, Dillinger und Saarstahl. In der nachgelagerten Wertschöpfungskette arbeiten rund vier Millionen Menschen in stahlintensiven Branchen wie Autobau, Bauindustrie und Maschinenbau. 2024 wurden in Deutschland gut 37 Millionen Tonnen Rohstahl erzeugt – das dritte Jahr in Folge unter der 40-Millionen-Marke. Der größte Produktionsstandort ist Duisburg. In Europa ist Deutschland mit mehr als einem Viertel der EU-Produktion (knapp 130 Millionen Tonnen) der mit Abstand größte Hersteller.
Dreifache Belastung für die Branche
Die Unternehmen kämpfen an mehreren Fronten: Unfair subventionierte Importe drängen auf den EU-Markt – jede dritte in Europa eingesetzte Tonne Stahl kommt inzwischen aus Drittstaaten. Hinzu kommen hohe Energiepreise und eine schwache Konjunktur. Seit 2017 ist das Marktvolumen um rund ein Drittel gesunken. Gleichzeitig stehen Milliarden-Investitionen für die klimafreundliche Umstellung der Produktion an.
Klimaschutz als zusätzliche Herausforderung
Die Stahlindustrie verursacht etwa sieben Prozent der gesamten CO2-Emissionen in Deutschland. Verantwortlich ist vor allem die klassische Roheisenerzeugung in Hochöfen, bei der große Mengen Kohlenstoff in Form von Koks benötigt werden. Rund 70 Prozent des Roheisens entstehen derzeit in diesen Anlagen. Die Alternative: Direktreduktionsanlagen, die idealerweise mit klimafreundlich hergestelltem Wasserstoff arbeiten. Statt Kohlendioxid entsteht dabei nur Wasser. Neue Anlagen sind bereits in Duisburg und Salzgitter im Bau – mit staatlichen Milliardenhilfen gefördert.
Konkrete Hilfen angekündigt
Die Bundesregierung will die Strompreiskompensation über 2030 hinaus verlängern. Dabei werden Firmen indirekt von Kosten des CO2-Emissionshandels entlastet. Zusätzlich soll am 1. Januar 2026 ein Industriestrompreis eingeführt werden, der den Strompreis für energieintensive Unternehmen spürbar senkt. Finanzminister Klingbeil kündigte an, dass beide Hilfen künftig zusammenwirken sollen – bisher schließen EU-Vorgaben dies faktisch aus. Bereits beschlossen sind Entlastungen bei den Strom-Netzentgelten 2026.
EU-Ebene entscheidet über Handelspolitik
Viele wichtige Maßnahmen kann die Bundesregierung nicht alleine umsetzen. Die EU-Kommission hat vorgeschlagen, die heimische Stahlindustrie mit deutlich höheren Zöllen vor billiger Konkurrenz aus Ländern wie China zu schützen. Zudem soll die Menge für zollfreie Importe nahezu halbiert werden. Konkret soll der Zollsatz für Importe, die darüber hinausgehen, auf 50 Prozent verdoppelt werden.